Die Macht der Sprache
Sprache ist mehr als ein Informationsträger, sondern – dem Autor folgend – überlebenswichtig. Das weist Patzlaff nach, in dem er einen weiten Bogen bis zu den in der Sprache verborgenen Heilkräften schlägt und kommt zu dem Ergebnis: "Dieselben Kräfte, die den Sprachorganismus am Lebensbeginn aufgebaut haben und das Sprechen ermöglichten, verwandeln sich [...] in ein Organ, mit dem die übersinnlich hörbare Sprache von Mensch zu Mensch wahrgenommen werden kann. Diese Errungenschaft wird das entscheidende Mittel sein, um die Autonomie des Menschen zu wahren, so dass er der Beherrscher der Technik sein kann, sie souverän nutzend, ohne ihr als Sklave zu verfallen. Sprachbildung und Sprachpflege werden so zu einem zentralen Baustein, um das Menschsein für die Zukunft zu sichern."
Um bis zu dieser Konklusion zu kommen, baut Patzlaff systematisch auf: Im ersten Kapitel "Schule und Gesundheit – ein Rückblick" führt er in Antonovskys Konzept der Salutogenese und Resilienz ein und setzt es im zweiten Kapitel "Waldorfpädagogik – konsequent salutogenetisch" schlüssig mit Steiners menschenkundlichem und pädagogischen Ansatz in Verbindung.
Im dritten Kapitel "Sprache und Gesundheit – Altes Wissen neu entdeckt" legt Patzlaff anhand von Beispielen aus der Sprachentwicklung des Kindes, der physischen Wirkung von Sprache und Lauten, von der Art der Kommunikation im Sprechen und Zuhören und ihren subtilen psychophysischen Auswirkungen auf den Menschen bis hin zu ihrer Bedeutung für einen therapeutischen oder medizinische Erfolg einen weiteren Grundstein für das vierte Kapitel "Dichtung, die Herz und Atem mit dem Kosmos synchronisiert", in dem die Bedeutung der Sprachrhythmen, insbesondere des Hexameters – mit den kosmischen Rhythmen und diese wiederum mit den menschlichen Rhythmen in Zusammenhang gebracht werden.
Im fünften Kapitel "Leises Heilen – Selbstverwandlung des Kindes durch Sprache" zeigt Patzlaff am Beispiel der Zeugnissprüche, wie die Sprache heilend und erziehend auf die Kinder, ohne zu moralisieren, wirken kann. Im sechsten Kapitel "Pädagogik im Sechsten Kondratieff-Zyklus" geht der Autor auf die aktuelle Zeitentwicklung ein, in der durch "Basisinnovationen", die alle 40 bis 60 Jahre einen neuen Zyklus einleiten, das "Megathema" Gesundheit, der treibende Wirtschaftsfaktor sein wird, wie die Corona-Pandemie deutlich gemacht hat.
Im abschließenden siebten Kapitel "Der weitere Entwicklungsgang der Sprache" beschreibt der Autor, welche Bedeutung der Sprachpflege und einer ichhaft durchdrungenen Sprache als Gegengewicht zu Digitalisierung und Transhumanismus zukommen – eine Aufgabe, der sich die Schulen verstärkt widmen sollten.
Es ist erstaunlich, wie Patzlaff scheinbar rätselhafte Steiner-Äußerungen aus ihrem Unverständnis erlöst und sie durch viele aktuelle Studien wissenschaftlich belegt und rational erschließt. Nicht nur ein lesenswertes, sondern ein spannend geschriebenes Buch.
Rainer Patzlaff: Sprache, die Gesundheit bewirkt. Ein pädagogischer Impuls Rudolf Steiners im Kontext moderner Entwicklungen, 120 S., brosch., SFR 12,–, Verlag am Goetheanum, Dornach 2023