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Digitalisierung erfordert Paradigmenwechsel

| Mathias Maurer

Der "Runde Tisch" fungiert als Beirat des von Tessin-Zentrums für Gesundheit & Pädagogik und findet in der Regel zweimal im Jahr statt.

Beim "Runden Tisch" geben Pädagogen und Ärzte Beiträge und treten über aktuelle Ereignisse in Austausch; das von Tessin-Zentrum berichtet über seinen Entwicklungsstand. Am 16. Januar kam der "Runde Tisch" zum fünften Mal an der Freien Hochschule Stuttgart zusammen.

Schon die Vorstellungsrunde drohte den zeitlichen Rahmen zu sprengen, so interessant waren die Berichte der Anwesenden über das, was vor Ort in der eigenen Einrichtung oder in der weiten Welt geschieht. Das Spektrum reichte vom wieder steigenden Fehleinsatz fiebersenkender Mittel, die aufgrund vermeintlicher Medikamentenknappheit von besorgten Eltern sogar in den Niederlanden eingekauft werden, bis zu Eindrücken aus einer durchdigitalisierten Kinderbetreuungsstätte in Seoul, über die allgemeinen Ermüdungserscheinungen und hohen Krankenstände in den Schulkollegien bis hin zu den Zeiterscheinungen, die eine gesunde Entwicklung erschweren und zusätzliche pädagogische, therapeutische oder ärztliche Intervention erfordern.

In seinem Vortrag über "Digitale Medien und psychische Gesundheit von Jugendlichen" sprach der Medienpädagoge Edwin Hübner von der Einsamkeit als einem der größten Risikofaktoren für die psychische Gesundheit. Er bezeichnete den ständigen Blick auf das Smartphone als Ursache für eine kollektive Verhaltensstörung, da er beständig verhindere, dass wir Gedanken zu Ende denken oder in einen produktiven Fluss kommen. Wenn KI in absehbarer Zeit 9/10 der menschlichen Erwerbsarbeit überflüssig mache, kämen Herausforderungen unvorstellbaren Ausmaßes auf uns zu, uns leiblich, seelisch und geistig autonom zu halten und ein sinnstiftendes Leben zu führen. Diese Entwicklung fordere ein neues schulisches Paradigma, ein Gegenprogramm, das die Willenserziehung und die Schüler-Lehrer-Beziehung in den Fokus rücke. Dazu gehöre auch die Abschaffung des Abiturs und die Einrichtung von Zugangs- oder Eignungsprüfungen durch die weiterführenden Ausbildungsstätten.

Danach wurde über den aktuellen Stand des von Tessin-Zentrums berichtet. Die aktuellen Arbeitsbereiche umfassen Publikationen, Aktuelles (z. B. wichtige Informationsbereitstellungen auf der Webseite), Projekte, Evaluation, Veranstaltungen (Fort- und Weiterbildung) und Vernetzung. Die Teilnehmer gaben zahlreiche Anregungen, welche Themen noch mit einbezogen werden könnten, wie zum Beispiel die Zirkuspädagogik oder multikulturelle Erfahrungsfelder; auch Kindergarten und Hort fehlten noch in den Projektpräsentationen.

Sieben Themenfelder kristallisierten sich für die Salutogenese und Resilienzentwicklung als besonders relevant heraus:

  • Naturerleben, körperliche Entwicklung und Sinneswahrnehmung
  • Ernährung, Mikrobiom
  • Rhythmus, Schlaf, Atmung, Stressprävention
  • Bewegung, Spiel
  • Kunst, Kultur, Selbstwirksamkeitserfahrung
  • Beziehung, Gemeinschaft (u.a. zur Depressions- und Einsamkeitsprävention)
  • Sinnfindung, Spiritualität.

Dass das Thema "Lehrergesundheit" aktuell ist, zeigte der gleichnamige, gutbesuchte Thementag. Das von Tessin-Zentrum ist dabei, vier ausgewählte Projekte in Kooperation mit der Universität Düsseldorf zu evaluieren. Für März 2024 ist ein großer Kongress in Stuttgart zum Thema "Gesundheit lernen" geplant.

Stefan Schmidt-Troschke von GESUNDHEIT AKTIV e. V.  stellte in seinem Vortrag "Positive Health – eine gemeinsame Aufgabenstellung von Patienten, Medizinern und Pädagogen" ein neues Public Health-Konzept aus den Niederlanden vor (https://www.iph.nl/en/), das die soziale, seelische und physische Dimension von Gesundheit mit einschließt. Das "Positive Health"-Konzept definiert Gesundheit als Anpassungs- und Selbstmanagementfähigkeit (nicht Status) angesichts sozialer, körperlicher und emotionaler Herausforderungen. Im Selbstversuch mit anschließendem Austausch testeten die Teilnehmer das "Tool", das sechs Abfragedimensionen erfasst – körperliche Funktionen, tägliches Leben, mentales Wohlgefühl, Sinngebung, Lebensqualität, Partizipation – und gaben ein reges Feedback. Das Tool liegt auch in einer Version für Kinder und Jugendliche vor. Schmidt-Troschke fragte, ob es nicht ein geeignetes Instrumentarium wäre, das in Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen bei der Erfassung des Status der "Gesundheitsfähigkeiten" oder der Evaluation von Gesundheitsprojekten angewendet werden könnte.