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Lebensnah lernen

Schulgarten-Projekte in der Schweiz

Alexandra Chennaoui

 

Ich möchte über zwei Schulgarten-Projekte an zwei Schulen in der Schweiz berichten, die ich im Rahmen meiner pädagogischen Ausbildung an der Akademie für anthroposophische Pädagogik (AfaP) in Dornach durchführte. Die erste Schule ist eine Privatschule in Berg im Thurgau mit Stufen vom Kindergarten bis zur Oberstufe (https://lernwerkeuregio.ch ). Die zweite Schule, die Mosaik-Schule in Burgau, an der ich den Bereich Natur-Mensch-Gesellschaft-Unterricht, den Natur- und Waldtag sowie die Betreuung der Kleinsten übernahm, habe ich selbst mitbegründet.

Biographische Wurzeln

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf, in einem Haus mit großem Garten, Haustieren und in unmittelbarer Nähe des Waldes gelegen. Schon als Kind war ich meine gesamte Freizeit in der Natur oder auf dem nahegelegenen Reiterhof.

Geprägt hat mich die Zeit in meiner Kindheit als wir als sechsköpfige Familie die Ferien stets auf einer abgelegenen Berghütte verbrachten. Eine alte Berghütte mit wenig Komfort mitten in der Bergwelt des kleinen Walsertals in Österreich, ohne Straßen Anbindung. Elektrizität (Licht) gab es, aber keinen Telefonanschluss, kein Internet, keinerlei Medien und auch keine Warmwasserleitung.

Man könnte meinen, dass das langweilige Ferien waren, aber es war genau das Gegenteil – ich erlebte meine Kindheit voller Fülle und Reichtum, reich an Gefühlen, Emotionen, Erlebnissen, Erkundungen, Erforschungen, Abenteuern und sehr viel Zeit (eines der höchsten Güter in der Kindheit), Zeit, einfach zu sein, Dinge zu entdecken, zu erkunden und einfach zu verweilen, Zeit, meine Eltern und meine Geschwister um mich zu haben. Ich durfte schon als Kind die Natur mit allen Sinnen erfahren, wir lernten die Pflanzenwelt auf langen Wanderungen kennen, deren Wirkung und Verwendung. Es gab regelmäßig Löwenzahnsalat und Brennnesselsalat, wir sammelten Brunnenkresse und Alpenkräuter. Wir verbrachten spielend Stunden am Bergbach, oder in einem großen Matschloch genau vor unserer Hütte. Es war unser "Bullerbü".

Nach meiner Ausbildung als Arzthelferin merkte ich schnell das mich Medizin sehr faszinierte, jedoch besonders die Alternativmedizin, alternative Heilmethoden, ganzheitliche Ernährung und die Pflanzenheilkunde. Nach der Geburt meines ersten Sohnes begann ich diese Fächer dann über mehrere Jahre an der Paracelsus Schule in Zürich zu studieren. Ich schloss die Ausbildungen in klassischer Homöopathie, Phytotherapie, ganzheitlicher Ernährungslehre und einigen alternativen Heilmethoden ab und eröffnete eine eigene Praxis.

Ein weiteres prägendes Ereignis war die Geburt meines Sohnes. Schon direkt nach der Geburt wusste ich, dass er ein sehr spezielles Kind war, er ließ uns oft Staunen. Seine Kinderjahre in der Schule liefen leider nie wirklich gut, es schien, dass er als "spezielles Kind" einfach nicht in die vorgegebenen Formen passte, immer fehlte irgendetwas, es ging ihm einfach nie wirklich gut und er konnte nie sich selbst sein, sein "Herzens-Rhythmus" passte nirgendwo hin. Er entdeckte die Welt mit anderen Augen – und war fasziniert von Dingen, die in der Schule keinen Raum hatten. Die wenigsten sahen ihn so, wie er wirklich war – wundervoll einzigartig! Es folgten viele suchende, ausprobierende Wege – viele Schulwechsel, viele Krisen, aber wir standen immer wieder auf, wir gaben nicht auf, es war keine leichte Zeit. Durch ihn prägte auch mich "Schule" etwas anders, negativ. Nicht wie ich es in meiner Kindheit erlebt hatte.

In der Zwischenzeit kam mein zweites Kind auf die Welt, eine Tochter. Als es bei ihr nun darum ging, eingeschult zu werden, merkte ich meinen Widerstand, alles Erlebte mit meinem Sohn kam wieder nach oben und große Zweifel kamen auf. Auch sie, so fühlte ich, brauchte einen individuellen Weg, für ihre eigene individuelle Entwicklung. Sie war ein Mädchen auf der Überholspur, sie machte alles in doppeltem Tempo und so merkten wir schon im Kindergarten, dass sie eigentlich schon bereit wäre für die Schule (vom Kognitiven her), aber ihr feines kreatives Wesen brauchte noch Zeit und Freiräume zum "Sein", zum Spielen, Entdecken und Erforschen.

Neue Lernmöglichkeiten gesucht – und gefunden

Hier schlossen sich beide Wege zusammen: Ich beschloss mit einer Freundin (Lehrerin) und einer Schulleiterin eine kleine Schule zu gründen, eine private Schule mit individuellen Lernmöglichkeiten. Jedes Kind sollte in seinem Tempo lernen können, mal schneller Mal langsamer, auch viel Spielzeit, kreatives Sein war möglich. Für mich und für meine Tochter genau das Richtige.  Wir gründeten eine Basisstufe vom Kindergarten bis zur 2. Klasse.

Ich stieg mit dem ein, was ich am besten konnte: Ich übernahm den Natur- und Umwelttag, ich gestaltete das "Draußen-Klassenzimmer", das Lernen im Freien, auf dem Schulhof oder ganz in der Natur-Erfahrungspädagogik. Ich ließ die Kinder im "Raum Natur" lernen und erleben. Ich vermittelte das Wissen über Pflanzen, ihre Wirkung und Verwendungsmöglichkeiten, wir stellten Sirup, Tinkturen und Salben her, wir experimentierten im Wald, kochten, rechneten und machten Deutsch, ich lernte mit den Kindern mit allen Sinnen.

Ich fühlte mich in der Rolle als Lehrerin sofort "Zuhause". Nach zwei Schuljahren an dieser kleinen Privatschule mit damals 6, dann 10 Schülern, musste ich mich wegen meines Sohnes erneut auf Schulsuche machen, die zu meiner zweiten Schulanstellung an der Privatschule Lernwerk Euregio führte, wo ich nun leitende Lehrperson bin.

Es war klar, dass ich weiterhin mit den Kindern in der Natur "lernen" möchte, besser noch, ich würde gerne mit ihnen so lebensnah wie möglich lernen. Ich möchte ihnen Dinge mitgeben, die sie eigenständig umsetzen, ausprobieren, in ihrem Alltag wiederfinden können, etwas, was ihnen ein Leben lang in Erinnerung und als Fähigkeit erhalten bleiben sollte.

Aus dem Wunsch nach praktischem-individuellen-lebensnahen Lernen entstand die Idee, einen Schulgarten mit den Kindern anzulegen. Dieser umfasst einen ganzen Lebenszyklus. Alle Themen lassen sich mit der Bewirtschaftung eines Ackers oder eines Schulgartens einbringen:

  • Planung eines Gartens (vorausschauendes Denken, Berechnungen, Kalender, Zeiten, Kalkulation, Zeichnen)
  • Bau der Hochbeete (handwerkliches und körperliches Geschick, "Wir kommen ins Tun")
  • Umgraben der Ackerfläche ("Wir kommen mit dem Boden und der Erde in Berührung, und behandeln die Themen Erdschichten, Bodenlebewesen, Wasser, Ackerbau, Geschichte des Ackerbaus, Geräte usw.)
  • Pflanzung: Welche Gemüsearten gibt es, welche Sorten, welche Gemüsegruppen? Woher kommen diese ursprünglich? Wie kamen sie zu uns? Wir gehen auf alte Sorten (Special Rara) ein und versuchen sie zu kultivieren.
  • Wir erarbeiten uns die Themen "Umwelt" und "Nachhaltigkeit". Was braucht der Mensch? Was braucht die Pflanze? Was haben alle "Lebewesen" gemeinsam?
  • Umweltschutz: Was heißt das und was können wir tun?). Umweltschutz hier und in anderen Ländern, Thema Müll-Müllentsorgung und Müllverwertung.
  • Recycling / Upcycling ist ein sehr großes Thema. Wir recyceln selber – verwenden alte Gegenstände weiter, wir legen einen Kompost an für unsere eigene Erdgewinnung, wir mulchen usw. – Meine Vision: "Ökosystem Schule"
  • Pflanzenpflege / natürliche Düngung: Wir lernen viel über die Pflege unserer Pflanzen und Beete und wie wir selbst Dünger herstellen können.
  • Nützlinge / Schädlinge: Welche Tiere und Kleinsttierchen gibt es? Welche sind für uns Nützlinge, welche Schädlinge? Was können wir tun? Wir üben Respekt gegenüber allen Lebewesen.
  • Unkräuter / Beikräuter: Sind Unkräuter wirklich Unkräuter oder können wir sie weiterverwenden? Sind sie essbar oder ggf. sogar Heilpflanzen? Wie verwenden wir Beikräuter? (Thema Mulchen).
  • Allgemeine Pflanzenkunde: Was wächst um uns herum? Was können wir verwenden? Wir sammeln "Unkräuter / Heilkräuter" und stellen selbst Tinkturen und Salben her. Wir sammeln "saisonale Pflanzen" und verwerten sie, wir stellen Sirup und Essig her, ziehen Öle aus und integrieren sie in unser "Znüni" oder "Zmittag".
  • Ernte: Wir ernten und verwenden unser Gemüse. Wann wird geerntet? Was brauchen wir dazu? Wir stellen Konfitüre und Gelees her. Was bedeutet regional / saisonal? Woher kommen unser Obst und Gemüse sonst? Wir pressen Apfelsaft. Was braucht es zur "Haltbarmachung"?
  • Kochen: Wir kochen mit unseren Gartenprodukten. Was übrigbleibt, legen wir ein (Thema: Haltbar machen: Fermentieren, Dörren und Trocken usw.).
  • Korn / Getreide: Wir thematisieren die Getreidearten, mahlen Mehl und backen Brot.
  • Gesundheit: Was ist Gesundheit? Was bedeutet Gesundheit für mich? Wie erhalte ich meine Gesundheit? Die Ernährung ist ein großes Thema, und damit unsere Nahrung und Lebensgewohnheiten.
  • Krankheit: Was ist Krankheit? Wie gehe ich damit um? Wie unterstütze ich Genesungsprozesse? Welche Heilpflanzen kenne ich, welche "Medizin" kann ich selbst herstellen (z.B. Zwiebelsirup).

Konkrete Arbeitsbeispiele

Schule 1 (Lernwerk Euregio):

Ich habe zusammen mit einem kleinen motivierten Team in der ersten Etappe zehn Hochbeete aufgebaut und mit Hochbeetmaterialien und Erde befüllt. In dieser Zeit konnten die Schüler leider noch nicht anwesend sein, da es in die Corona Zeit fiel. Ich arbeitete mit einem kleinen Team zusammen. Die tatkräftige, freudige Unterstützung der Kinder, ihre leuchtenden Augen für Neues fehlten mir. Aber umso mehr würden sie sich freuen, wenn sie das erste Mal den Garten betreten werden.

Hier einige Bilder des Schulgartens und von der Bauaktion der Hochbeete:

Schule 2 (Mosaik Schule)

Die Schule liegt sehr ländlich, idyllisch in die grüne Natur eingebettet, eine kleine Dorfschule. Den Acker vorzubereiten war eine mühsame Arbeit: Der Boden war hart, es hatte lange nicht geregnet. Coronabedingt vermisste ich die gemeinsame Ackertätigkeit im Team und mit den Schülern.

Bilder des Ackeraufbaus

Aber dann war der Tag der ersten Pflanzung. Das Team der Ackerdemie Zürich kam zu mir an die Schule, um die Pflanzung zusammen mit mir durchzuführen. Auch an diesem Termin durften die Schüler leider noch nicht dabei sein.

Endlich sah ich etwas, die harte Arbeit hatte sich gelohnt. Nun freute ich mich auf die bald kommende Arbeit mit den Kindern.

Was im voraus zu klären ist

Zuallererst muss geklärt werden, ob ein Schulgarten auf dem jeweiligen Schulgelände angelegt werden kann.

In der Planungsphase müssen der Aufbau, die Größe und der Finanzbedarf (ggf.  Stiftungen und Sponsoren anfragen) für Material, Geräte Pflanzenkauf geklärt sein.

Das Projekt muss in der Schule und bei den Eltern "ankommen", das Team stehen.

Schweiz

Das Projekt: Schulgarten-Projekte an zwei Schulen in der Schweiz, durchgeführt im Rahmen einer pädagogischen Ausbildung an der Akademie für anthroposophische Pädagogik (AfaP).

Orte: Berg/Schweiz | Burgau/Schweiz

Aktivität: Schulgarten | Hochbeete | Ackerbau

Kontakt: Alexandra Chennaoui

Fotos: privat

Salutogenetische Gesichtspunkte

  • Natur-, Erfahrungspädagogik
  • Individuelle Förderung
  • Nachhaltigkeit
  • Gesunde Ernährung, regional, saisonal