Mit Landwirtschaft erziehen
Sonja Bati vom Bauernhof-Kindergarten Zillhardtshof im Gespräch mit Susanne Vieser vom Waldorferzieherseminar Stuttgart
Susanne Vieser | Was waren für Sie die ausschlaggebenden Aspekte, das Konzept eines Bauernhof-Kindergartens zu wählen?
Sonja Bati | Der erste ausschlaggebende Punkt ist, dass die Kinder Zeit in der Natur verbringen, weil heutzutage ganz viele nur noch am Bildschirm zu Hause sitzen. So haben die Kinder wirklich einen Ausgleich, können draußen spielen an der frischen Luft. Da spielt auch der gesundheitliche Aspekt eine Rolle, dass man, wenn man viel draußen ist, meiner Meinung nach weniger krank ist. Dann gibt es den motorischen Aspekt, dass Kinder, die viel draußen spielen, auf Bäumen balancieren, durch Wiesen rennen, einfach motorisch viel weiter sind, sich besser entwickeln. Es gibt ja Kinder, die heutzutage nicht mal mehr einen Purzelbaum machen können, weil sie einfach nur drinnen sitzen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Bezug zur Landwirtschaft. Wir haben hier einen Bauernhof, und mir ist es wichtig, dass die Kinder einen guten Bezug zur Landwirtschaft entwickeln; dass sie einfach wissen, woher die Milch kommt, nämlich von der Kuh; und das Ei ist vom Huhn. Sie sehen das jeden Tag, wie ein Huhn ein Ei legt, sie dürfen die Eier einsammeln. Und dass wir die Dinge direkt verwerten und sie erleben: Es ist wichtig, regional bei Landwirten in der Umgebung einzukaufen und das zu unterstützen und eben nicht die Flug-Mango zu kaufen. Dass sie bei Obst und Gemüse einfach wissen, wir bauen viel selber an. Oder wir sehen auch direkt beim Erzeuger – wir haben hier oben einen Demeter-Bauernhof, den wir jeden Tag besuchen: Daher kommt die Milch. Dann ist es halt nicht die lila Kuh, sondern eine richtige Kuh, wo die Milch herkommt.
Dann finde ich es auch wichtig, dass für die Landwirtschaft ein konkretes Verständnis entwickelt wird, dass man nicht seinen Müll aufs Feld wirft, weil dort Futter für die Kuh wächst, die uns die Milch liefern. Dass man nicht durch die Felder trampelt usw., das heißt so die Landwirtschaft schätzen lernt. Das ist konkrete Umweltschutzerziehung.
Was auch wichtig ist, ist, ein gesundes Verhältnis zu den Tieren zu gewinnen, dass ein Tier nicht nur den ganzen Tag gestreichelt werden sollte, sondern dass ein Tier ein Nutztier ist und dass, wenn man das Tier gut pflegt und hegt, auch Arbeit und Verantwortung damit verbunden ist und dass dann aber auch etwas daraus entsteht.
Insgesamt haben wir einen arbeitsorientierten Ansatz. Es wird zum Beispiel bei den Pferden ausgemistet und das Wasser gewechselt. Das lernen die Kinder hier und machen es auch wirklich mit Freude. Sie lernen es spielerisch. Dann dürfen sie aber auch mal das Pferd im Parcours führen, alles natürlich tiergestützt angeleitet und begleitet. Da darf kein Tier getreten werden, nur weil es Spaß macht. Ein gesundes Verständnis zum Tier, zu seinen Mitmenschen, zur Landwirtschaft zu erhalten, das war die Intention.
SV |Sie haben es schon erwähnt, aber wo genau berücksichtigt oder stärkt dieses Konzept die gesunde Entwicklung des Kindes?
SB | Auf jeden Fall ist frische Luft immer gesund. Wenn man merkt, okay, der Sommer ist vorbei, es wird kühler, ich muss mehr anziehen, wenn man viel draußen ist und sich viel bewegt, das ist gesundheitstechnisch immer gut. Wir hatten auch Kinder, die zum Beispiel einen chronischen Husten hatten, der hier sofort weggegangen ist, weil sie einfach jeden Tag an der frischen Luft sind. Das ist natürlich immer das Beste für Kinder, und das möchten sie auch. Was man auch merkt: Kinder sind immer so in Bewegung, auch wenn es eiskalt ist, frieren sie nicht. Sie sagen nie, mir ist kalt oder ich friere. Sie laufen hier zum Teil noch im November im T-Shirt herum, weil sie so abgehärtet sind und sich immer bewegen und immer im Spiel sind, dass sie das gar nicht merken, dass es eigentlich kalt ist. Und meiner Meinung nach werden diese Kinder auch viel seltener krank. Wir haben Inklusionskinder hier, wo schon vorausprognostiziert wurde: Der ist ganz oft krank! Und dieses Kind war quasi nie krank hier – mit dem Sommer gehen sie dann in den Winter, sie nehmen die Jahreszeit mit und sind dann einfach schon so abgehärtet, haben so viel Abwehrkräfte, dass das ganz selten passiert. Gesundheitlich ist es also ein Riesenvorteil, gerade für Kinder mit Atemwegsproblemen, mit Pseudokrupphusten. Solche Sachen wie Noroviren, die sich vor allem in Innenräumen verbreiten, gibt es hier gar nicht. Wir haben auch nie irgendwelche Kinderkrankheiten. In anderen Kindergärten sieht man oft zehn Aushänge, denn indoor verbreitet sich so etwas natürlich viel, viel schneller als draußen. Wenn jemand einen Schnupfen hat, kann er natürlich trotzdem kommen; er niest ja in die frische Luft und das bekommt kein anderes Kind ab. Die Ansteckungsgefahr ist viel geringer.
Was natürlich gesundheitlich auch ein Riesenvorteil ist für die Kinder: Sie dürfen sich motorisch ganz anders entwickeln. Sie dürfen auf einen Baum klettern, sie lernen, Gefahren viel besser einzuschätzen, es passiert ganz selten, dass ein Kind herunterfällt oder stolpert. Sie dürfen auch Feuer kennenlernen. Sie können solche Sachen viel besser einschätzen. Ich lasse sie auch manchmal kilometerlang rückwärts laufen – das können sie alle ohne Probleme; das können viele Kinder nicht mehr – oder auf Baumstämmen balancieren. Von der motorischen Entwicklung sind diese Kinder viel weiter, weil sie einfach jeden Tag in Bewegung sind. Sie müssen dann auch mal filigranere Sachen machen, müssen mit der Mistgabel nur die Haufen von den Pferden sammeln (das ist gar nicht so einfach) oder aussieben. Sie lernen im Tun.
SV |Die Kinder greifen die Tätigkeiten auf dem Bauernhof auf. Könnten Sie diesen Vorgang genauer beschreiben?
SB | Wir haben den arbeitsorientierten Ansatz von Ingrid Miklitz übernommen, das heißt, Fachkräfte leiten die Arbeit an. Ältere Kinder können schon richtig mitarbeiten, sie lernen relativ schnell und machen die Arbeit wirklich gerne. Sie sind dann voll in ihrem Tun und die Kleineren schauen einfach zu, aber irgendwann eignen auch sie sich die Sachen an. Sie wissen dann auch schon – der Tag läuft relativ strukturiert ab: Jetzt ist Stallmisten dran, dafür sind diejenigen eingeteilt, und dann machen sie mit. Ebenso wichtig für die Kinder: Hinter unserer Arbeit steht immer ein konkreter Bedarf. Egal was wir machen, es erfüllt einen sinnvollen Zweck. Wir füllen zum Beispiel eine Wanne mit Sand, dass die Hühner ein Sandbad haben. Dann wird erklärt: Das brauchen sie, um ihr Gefieder zu reinigen. Oder man sagt zum Beispiel: Putze das Pony. Und wenn es schön geputzt ist, darf man dann nachher auf ihm einen Ausritt machen. Also nicht nur nützliche Arbeiten im Sinne von einen Mehrwert schaffen, sondern weil es schön ist. Ich glaube, deswegen machen das die Kinder dann auch so gern.
SV |Arbeiten die Kinder auch direkt mit dem Landwirt oder ist das voneinander getrennt?
SB | Wir besuchen die Landwirte. Im Februar schließe ich meinen Fachwirt für Landwirtschaft ab, genau aus diesem Grund habe ich den gemacht, weil ich einfach mein Wissen an die Fachkräfte weitergeben möchte und die wiederum an die Kinder. Wir arbeiten schon mit, aber eher im Kleinen, dass wir zum Beispiel etwas einsäen mit den Kindern, die Pflanzen im Sommer gießen, dann im Herbst ernten und zum Beispiel einlegen für den Winter. Es gibt also immer eine komplette Nahrungskette bis zum Ende. Wir kochen ja selber, vor allem mit unseren Lebensmitteln, und da ist der Bezug einfach gegeben. Oder wir gehen zum Bauern hoch, er hat Kühe – Demeter-Qualität. Die Kinder dürfen dann nicht nur die Kälber streicheln, sondern sie nehmen eine Milchkanne mit und holen dann die Milch direkt vom Erzeuger. Oder sie holen Kartoffeln direkt vom Erzeuger. Es ist immer der Bezug da, dass sie einfach wissen: Das hat der Bauer produziert. Am schönsten ist es natürlich, das direkt vom Erzeuger abzunehmen, dann weiß ich nämlich, woher es kommt, welche Qualität es hat, und ich unterstütze hier noch die Region und die Landwirte in der Region. Und die Gesundheit der Kinder natürlich.
SV |Sehen Sie eine Auswirkung im Hinblick auf die Gesundheit der Kinder, weil es Tiere in ihrem Umfeld gibt?
SB | Man sagt ja, dass weniger Allergien auftreten, je früher Kinder mit Tieren in Kontakt kommen. Das glaube ich auch. Die Tiere animieren die Kinder zur Bewegung, sie werden einfach aktiver. Wir haben ja auch die Produkte der Tiere wie zum Beispiel die Eier. Ich bin natürlich der Meinung, dass unsere Eier die gesündesten sind für die Kinder, und die essen wir dann auch. Wir essen morgens Rühreier von unseren Hühnern mit den Kindern, das dürfen sie selber machen.
SV |Verändert sich die Gesundheit der Kinder durch dieses Konzept?
SB | Ich denke schon. Das merkt man einfach an der Gesichtsfarbe der Kinder. Wir haben ganz viele Kinder hier – wir kochen vegetarisch –, die am Anfang gesagt haben, sie mögen keinen Salat, sie mögen Grünzeug nicht. Dadurch aber, dass sie es selber ernten, selber herstellen und dann in alle Arbeitsschritte eingebunden sind und dann noch diese Gruppe haben, brauchen wir in der Woche, glaube ich, 20 Gurken, die die Kinder essen. Wir schauen schon, was sie am liebsten mögen, dann fördern wir das natürlich, wenn es etwas Gutes ist. Es gibt immer frisches Gemüse, frisches Obst, auch zum Frühstück. Wir variieren sehr viel, haben aber auch beim Essen eine feste Konstante drin – wieder dieser Waldorfgedanke, dass man sagt: Es gibt einen Reistag, einen Nudeltag, einen Kartoffeltag oder Suppentag. Aber dazu wird immer irgendetwas Frisches serviert.
SV |Welchen Stellenwert hat denn das freie Spielen? Man könnte ja annehmen, dass die Kinder ständig mit Tieren und Anbauen, Umbauen und Landwirtschaft beschäftigt sind.
SB | Sie spielen sehr, sehr gerne frei. Am Anfang, wenn eine Gruppe neu zusammenkommt, muss man erst einmal schauen, dass die Gruppe sich gut findet, aber wenn es mal eine gute, feste Gruppe ist, dann ist es eher so, dass wir wirklich immer diskutieren müssen: Es gibt Essen – alle Händewaschen! Nein, sie wollen noch spielen, wenn sie mal so richtig im Spiel sind. Da finde ich es richtig, mal zu sagen: Okay, jetzt lassen wir sie mal zehn Minuten länger spielen. Da nehmen wir uns die Flexibilität und sagen: Dann machen wir den Morgenkreis einfach mal zehn Minuten später. Heutzutage ist es so, dass die Kinder immer nach der Uhrzeit, fest in einen zeitlichen Rahmen hineingepresst werden. Außer die Kinder werden abgeholt – da gab es auch schon Diskussionen, weil sie nicht gehen wollten –, nehmen wir uns die Freiheit, den Morgenkreis zehn Minuten später zu machen oder auch schon mal ausfallen zu lassen. Die Kinder greifen immer etwas auf, wir leiten sie dann an, und es endet im besten Fall im Freispiel, so dass man fast gar nicht mehr involviert ist, nur noch im Hintergrund begleitet.
Bauerhofkindergarten Zillhardtshof
Das Projekt: Natur- und Bauernhofkindergarten
Ort: Zillhardtshof 5, Waiblingen
Aktivität: Naturpädagogische Arbeit
Kontakt: Sonja Bati | Email
Fotos: Autorin
Resilienzförderung durch:
- Naturerfahrungen, Natur- und Erfahrungspädagogik
- Umgang mit Tieren
- Erleben von Landwirtschaft
- Urvertrauen stärken, Sinne anregen, Naturkunde erfahren
- Gesunde Erährung (frisch vom Acker auf den Tisch)