Waldprojektwochen für Jugendliche
Kaspar Zürcher
Jugendliche suchen Sinn
Die Pubertät ist für Jugendliche eine Zeit des Aufbruchs, der Suche nach Sinn und einem eigenen Platz in der Welt. Es ist aber auch eine Zeit der Gefühlsschwankungen, des Zweifelns und der Unsicherheit. In dieser Phase sehnen sich viele junge Frauen und Männer danach, handfeste Erfahrungen zu machen, in denen sie ihre Grenzen ausloten und Sinnhaftigkeit erleben können.
In den Waldprojektwochen der Bildungswerkstatt Bergwald packen Jugendliche ab der 8. Klasse im Bergwald an – bei Wind und Wetter, Schnee und Hitze. Sie realisieren schnell, dass sich viele Arbeiten nur gemeinsam im Team verrichten lassen. Das fördert den Zusammenhalt und stärkt ihre Sozialkompetenz.
Das Arbeiten in der Natur ist eindrücklich und stiftet unmittelbar Sinn. Beim Hantieren mit Axt und Säge spüren die Jugendlichen die eigene Kraft. Sie meistern herausfordernde Situationen, kommen an ihre Grenzen und darüber hinaus.
Natur erleben schafft Bewusstsein
In unserem zunehmend kopflastigen und digitalen Alltag verbringen viele Jugendliche – und auch Erwachsene – den Großteil ihrer Zeit in Innenräumen. Aufenthalte in der Natur sind selten geworden. Sie sind aber Voraussetzung dafür, überhaupt eine Beziehung zur Natur aufbauen zu können sowie ein Bewusstsein zu bilden und die Motivation zu geben, sich in seinem konkreten Handeln und Entscheiden für die Umwelt einzusetzen.
Im Bergwald anpacken
Bergwälder sind von großem Wert: Sie schützen vor Naturgefahren, regulieren das Klima und den Wasserhaushalt und bieten einen Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Gleichzeitig bilden sie die Grundlage für den Tourismus – die wichtigste Einnahmequelle der Bergbewohner. Damit die Bergwälder all das gewährleisten können, bedürfen sie der Pflege und der nachhaltigen Nutzung. Der Bergwald ist ein urtümlicher Lebensraum. Die jahrhundertealten Baumriesen, der Duft von Moos und Harz führen in eine eigene Welt und verbinden mit dem langen Atem der Zeit. Der langsamere Rhythmus wirkt sich unmittelbar auf das eigene Befinden und die Verbindung zur Natur aus, denn wir sind ein Teil von ihr. Durch eigene Arbeit gelingt das besonders eindrucksvoll. Deshalb packen wir im Bergwald an.
Themen wie Naturschutz, ökologische Vernetzung, Erhalt von Kleinstrukturen in der Landschaft, Biodiversität, Nachhaltigkeit, Essen aus der Region werden nicht nur als Begriffe erklärt, sondern auch gelebt." Thomas Werthmüller, Fachlehrer an der Sekundarschule Hofmatt in Gelterkinden (BL)
Mit Axt und Säge arbeiten
In den Waldprojektwochen führen die Jugendlichen Arbeiten aus, die der Wald und die Landschaft erfordern: Sie fällen mit Axt und Säge Bäume, pflegen Jungwald, bauen Wanderwege, Mauern und Gleitschneeverbauungen und halten diese instand. Damit die Waldprojektwoche möglichst abwechslungsreich ausfällt, sind sie jeden Tag an einem anderen Arbeitsplatz im Einsatz. Die Schüler arbeiten in Kleingruppen von rund sieben Personen. Jede Gruppe wird von einer methodisch und pädagogisch ausgebildeten Forstfachperson angeleitet und geführt, so dass ein größtmögliches Maß an Sicherheit gewährleistet ist.
Hier die Arbeiten die wir ausführen:
- Holzernte mit Axt & Hobelzahnsäge
- Schlagräumung
- Jungwaldpflege
- Weidepflege
- Wildschutzzäune errichten
- Lehrpfad anlegen
- Biotop-Pflege
- Waldrandpflege
- Hangsicherung
- Baumpflanzung
- Neophytenbekämpfung
- Holzbrücken bauen
- Lawinenverbau
- Rastplatz anlegen
- Wegunterhalt
- Trockenmauerbau
Immer mehr Menschen wachsen in den künstlichen Umgebungen der Städte auf und wischen ununterbrochen auf den Screens ihrer Smartphones. Es gibt kaum pädagogisch ausgerichtete Institutionen, in denen man direkt mit der Arbeit im Bergwald konfrontiert wird. Wenn es die Bildungswerkstatt Bergwald nicht gäbe, müsste man sie erfinden.
Rudolf Ortner, Lehrer an der Rudolf Steiner Schule Berner Oberland
Nachhaltigkeit auch auf den Teller bringen
Wir wollen Nachhaltigkeit nicht nur im Wald, sondern auch in der Küche leben. Mit dem Projekt "Regional und nachhaltig ernähren" während der Waldprojektwoche werden saisonales und regionales Gemüse und Obst sowie Milchprodukte und Fleisch aus der Umgebung verköstigt. Dafür stehen eine Köchin oder ein Koch der Bildungswerkstatt Bergwald zur Verfügung oder die Klassen stellen selbst ein Kochteam zusammen, wofür es ausführliche Unterlagen mit Menütipps und Planungshilfen gibt.
Arbeitsausrüstung, wie Werkzeuge und Helme werden gestellt. Vor der Waldprojektwoche besucht der Kursleiter oder die Kursleiterin die Klasse, um die Jugendlichen thematisch und praktisch auf die Woche vorzubereiten und informiert meist am gleichen Tag an einem Elternabend auch die Eltern. Auch längere Einsätze bis zu zwei Wochen sind möglich. Sie vertiefen die Erfahrungen und Eindrücke.
Praktische Lebenserfahrung
Der Mangel an einfachsten praktischen Lebenserfahrungen, die stark zunehmende Naturentfremdung, der fehlende innere Bezug zu den Mitgeschöpfen und zu unseren Lebensgrundlagen werfen Grundfragen bezüglich einer gesunden Jugendentwicklung auf. Sie stellen heute, speziell auch mit Blick auf die rasante Ausbreitung der virtuellen Erfahrungswelten über allgegenwärtige Bildschirme, wohl eine der größten pädagogischen Herausforderungen dar.
Die Waldpädagogik möchte ein Gegengewicht zu den angstmachenden Zukunftsszenarien und Katastrophenbotschaften bilden und zu einem konstruktiv tätigen, positiven Erleben der Schönheit und der Kraft des Waldes führen. Die spielerisch-sinnesbetonten Methoden der Waldpädagogik bewähren sich bis heute und schaffen einen Ausgleich zur meist kopflastigen, lebensfernen Vereinseitigung im schulischen Lernen.
Selbstwirksamkeit erleben
Jugendliche wollen ernst genommen und nicht therapiert werden. Sie suchen das "wirkliche" Leben, reale Aufgaben und Herausforderungen, an denen sie wachsen, ihre Selbstwirksamkeit erleben und sich bewähren können. Ihnen solche Erfahrungsfelder anzubieten ist heute Kernstück einer erfolgversprechenden Jugendpädagogik.
Evaluation der Projektwochen
Schon im Jahr 2008 wurden die Projektwochen der Bildungswerkstatt Bergwald im Rahmen der EU – Aktion COST 39 ("Forest, Trees, Human Health, and Well-Being") im Hinblick auf ihre gesundheitsrelevanten Wirkungen auf Jugendliche untersucht.* Die Befragung von 162 Jugendlichen sollte Hinweise auf die Stärkung der seelischen und physischen Widerstandskraft (Resilienz) durch die Teilnahme an den Projektwochen geben. Die Benennung positiver Werte aller fünf untersuchten stärkenden (salutogenetischen) Indikatoren (Kompetenz, Selbstwert, Humor, Sinngebung, soziales Netz) durch die Befragten kann nach dem jetzigen Stand der Forschung als präventive Wirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung der teilnehmenden Jugendlichen interpretiert werden.
Die Stärkung der Widerstandskraft beeinflusst die Lebensbewältigung positiv und gilt als präventiver Faktor im menschlichen Leben, der wissenschaftlich belegt ist. Dieser Logik entsprechend führt eine Stärkung der Schutzfaktoren gleichzeitig zu einer Verminderung der Suchtgefährdung oder anderer Fehlentwicklungen. Der Erfolg dieses Projektes zeigt sich auch darin, dass etliche der teilnehmenden Jugendlichen vor den Projektwochen im Bergwald eher skeptisch und wenig begeistert sind von der Aussicht auf eine Woche körperlich harter Arbeit, jedoch nach dem Einsatz im Bergwald dieses Erlebnis von ihnen weitgehend positiv und als wertvolle Erfahrung eingeschätzt wird.
* Michael Frais, Walter Kern-Scheffeldt: Gesundheitsrelevante Wirkungen der Waldpädagogik – Kriterien und Indikatoren zu waldpädagogischen Projekten sowie eine Effektanalyse eines ausgewählten Projekts mit dem Ansatz "Suchtprävention und Life Skills"
Bergwaldprojekt
Das Projekt: Waldprojektwochen für Jugendliche
Ort: Berner Oberland / Schweiz
Aktivität: Bergwaldschutz / Waldpflege
Kontakt: Kaspar Zürcher | Email
Fotos: Matthias Pfammatter
Internet: ➣ Bildungswerkstatt Bergwald
Resilienzförderung durch:
- Praktische Arbeiten in Wald und Natur
- Selbstwirksamkeit: Reale Aufgaben im wirklichen Leben
- Kompetenzerwerb
- Steigerung des Selbstwertes
- Arbeiten im Team