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Resilienz als Entwicklungschance

Das Outdoor Camp der 9. Klasse an der Freien Waldorfschule Heidenheim

Constanze Eppel

In den letzten Jahren hat sich bei vielen Kindern und Jugendlichen ein deutlicher Einbruch der Leistungsbereitschaft und inneren Widerstandfähigkeit gezeigt. Eine Krise reiht sich an die andere und die jungen Menschen haben Zweifel an der Verlässlichkeit der Erwachsenenwelt entwickelt. Einige wenige suchen selbstbewusst nach Alternativen und machen sich auf den Weg. Viele jedoch haben das vage Gefühl, es lohne sich nicht, zu lernen oder zu arbeiten. Das Vertrauen in funktionierende Gemeinschaften, die es schaffen, die bestehenden Verhältnisse zum Besseren weiterzuentwickeln, wird besonders durch die subtile Beeinflussung mittels der sozialen Medien untergraben. Es bedarf schon einer gefestigten Persönlichkeit, um Informationen richtig einzuordnen oder auch nur deren Konsum zu regeln.

Für Kinder und Jugendliche ist es daher wichtiger denn je, innere Orientierung und Vertrauen in ihre Entwicklungskräfte zu gewinnen. In einer fröhlichen Gemeinschaft und mit Respekt für die konkrete Umgebung ein Projekt gestalten zu können, kann hier einen großen Beitrag leisten. Dabei streben vor allem Jugendliche danach, auch einmal körperliche Grenzen zu überschreiten und die gewohnte Komfortzone zu verlassen. Unsere Schule möchte ihnen dies mit unserem Resilienz-Programm zutrauen und ihre Widerstandsfähigkeit fördern. Gleichzeitig wollen wir die Lernfähigkeit steigern.

Die Erfahrungen nach der Pandemie in allen Bildungseinrichtungen hat gezeigt, dass es nicht reicht, Bildungsinhalte nur nachzuholen. Essenzielle Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen sind innere Orientierung, Wissensdurst aus Weltinteresse und die Verankerung in einer tragfähigen sozialen Gemeinschaft. Unser Projekt beruht auf der Grundannahme, dass sich Lernen in seiner höchsten Potenz nicht linear und stetig vollzieht. Vielmehr fokussiert sich durch konkrete Betroffenheit eine erhöhte Aufmerksamkeit, die intuitiv und unmittelbar Fähigkeiten auf ein höheres Niveau hebt. Gelingt Lernen immer wieder auf diese Weise, ist es nachhaltig und entwicklungsfähig. Die jungen Menschen entwickeln dann Fähigkeiten, welche Zukunftsfragen erschließen, zu denen uns heute als Lehrende noch die Voraussetzungen fehlen, diese überhaupt vollständig zu erfassen.

Wenn Lernen in solcher Offenheit stattfindet, spüren Schülerinnen und Schüler instinktiv, dass hier etwas geschieht, was für sie von größter Bedeutung ist. Dem widerspricht nicht, dass auch aufbauend strukturiertes Üben gepflegt werden muss. Bleibt das aber die einzige Form des Lernens, entstehen oft Motivationsprobleme und Leistungsspitzen erreichen meist nur speziell begabte Schülerinnen und Schüler. Damit diese "Quantensprünge des Lernens" sich als Methode bei vielen etablieren kann, möchten wir neue Lernformen fördern. Ziel ist eine Lernumgebung im Spannungszustand von Kompetenzerleben und hoher Anforderung aufzubauen, welche die Lernenden in einen "Flow" kommen lässt. So wird erst wirkliches Eintauchen ermöglicht, egal ob es sich um Bewegung oder theoretische Inhalte handelt – im besten Fall sollte beides miteinander verbunden sein.

Unsere pädagogischen und evaluierbaren Ziele sind:

  • Aufbau von Resilienz in einer herausfordernden, aber sicheren Umgebung
  • Steigerung der Lernbereitschaft
  • Erwerb von Selbstführungs-und Teamführungsstrategien (self-awareness, lead self, team leadership principles, giving and receiving feedback, working under pressure)
  • Erwerb von Fachwissen in Geländeorientierung und Überlebenstechniken, Ökologie, Mathematik und Englisch usw.

Wo kann ich schlafen?

Das Projekt ist Teil eines Oberstufencurriculums "Resilienz als Entwicklungschance", das wir an unserer Schule etablieren wollen. Das Curriculum umfasst Projekte in Klasse 9 bis 12. Wir beginnen mit einer Pilotphase in Klasse 9. Anhand dieser Erfahrungen soll das Curriculum weiterentwickelt werden. Die Verbindung mit der Mittelstufe mit bereits vorhandenen Praktika und Camps als verbindliches Curriculum von Klasse 5 bis 12 ist geplant.

Das Outdoorcamp fand auf einem Waldcampingplatz in der Nähe von Heidenheim statt. Wir konnten den umliegenden Wald für Aktivitäten, aber auch zum Übernachten auf selbstgebauten Lagerplätzen unter einem Tarp nutzen. In der Nacht hatten wir im Herbst Temperaturen bis an die Gefriergrenze. Die Jugendlichen standen während des Camps vor unterschiedliche Herausforderungen. Das Schlafen im Freien in dieser Jahreszeit war eine davon. Hier hatten die Jugendlichen sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Manche hatten schon viele Pfadfinder- oder Zeltlager erlebt, andere hatten noch nie im Freien geschlafen. Das Konzept sah deshalb "Challenge by Choice" in drei Stufen vor: Schlafen im Zelt, Schlafen in der Jurte, Schlafen im Wald unter dem Tarp.

Eine weitere Herausforderung war die Planung und Organisation der Verpflegung, die in selbstorganisierten Teams stattfand. Die Schülerinnen und Schüler lernten am Feuer auch für größere Gruppen nahrhafte Speisen zubereiten. Dabei spielte auch der Aspekt der Herkunft und Verpackung der Produkte eine Rolle.

Der Tag begann mit einer Bewegungsmeditation. Nach dem Frühstück durchliefen die Jugendlichen in kleinen Teams verschiedene Arbeitseinheiten unter den Überschriften "Mathematik in der Natur", "Wildniswissen – lernen und praktizieren" und "Adventure-based learning" (ABS). Auf allen drei Gebieten konnten die Schülerinnen und Schüler physische wie intellektuelle Probleme einzeln und im Team bewältigen. Jede Einheit bot Zeit zur Besinnung und Reflexion – allein oder in der Gruppe. Am Nachmittag gab es Gemeinschaftsaktionen wie Playfighting oder Capture the Flag, aber auch Zeit für einsame Naturbetrachtungen. Am Abend nach dem gemeinsamen Essen trafen wir uns am Feuer zu einem "Council" angelehnt an die von der Ojai Foundation in Kalifornien entwickelte Form. Später wurde je nach Stimmung noch gesungen und erzählt.

Resilienztraining in Mathe auf Englisch

Das Resilienztraining dauerte zwei Wochen und war Teil einer vierwöchigen Mathematik-Epoche. Die Epocheninhalte können zukünftig variieren, je nachdem welche Themen vertieft werden sollen. Das Projekt lief bilingual in Englisch und Deutsch ab.

Zeitlicher Ablauf:

1. Woche – Vorbereitungswoche in der Schule

  • Planung des Camps durch die Schüler*innen an der Schule in Teams
  • Planung und Beschaffung des Equipments fürs Campen im Herbst
  • Planung und Beschaffung der Versorgung
  • Soziales Kompetenztraining in Kleingruppen
  • Jurtenbau Übung
  • Arbeitsgruppen zu Ökologie und Lebensstil sowie Angewandter und reiner Mathematik

2. Woche – Outdoor Camp Woche in der Natur

  • Anfahrt mit dem Fahrrad
  • Einrichtung des Camps auf dem Zeltplatz und im Wald, Etablierung der Tagesstruktur
  • Leben und Arbeiten im Camp
  • Abbau des Camps und Heimfahrt mit dem Fahrrad, Abschlussaktivität an der Schule

Stimmen von Schülerinnen und Schülern aus der 9. Klasse

"Das Camp war sehr hart und anstrengend, aber es war, glaube ich, gut für das Selbstbewusstsein."

"Ich fand die sportlichen und abenteuerlichen Aktivitäten total cool, auch Mathe hat extrem viel Spaß gemacht, vor allem weil man in so kleinen Gruppen war. Auch das Essenkochen war nett. Ich fände es nur cool, wenn es noch ein bisschen abenteuerlicher wäre."

"Also ich würde es auf jeden Fall nicht mehr im Herbst machen. Es war viel zu kalt."

"Ich finde es gut, dass so etwas stattgefunden hat. Ich fände es toll, wenn es auch in anderen Klassen weitergeführt wird."

"Nützlich war, dass wir gelernt haben, wie man Feuer ohne Streichhölzer macht."

"Das Erlebnis war spannend und schön, weil man durchgehalten hat, vor allem wenn man sowas wie draußen schlafen noch nie gemacht hat."

Freie Waldorfschule Heidenheim

Das Projekt: Outdoor Camp 9. Klasse

Ort: Heidenheim und Umgebung

Aktivität: Naturerfahrung, Adventure-based learning, Wildniswissen

Kontakt: Constanze Eppel

Fotos: Oliver Vogel

Internet: ➤ Freie Waldorfschule Heidenheim

Resilienzförderung durch:

  • eine geschützte, aber herausfordernde Umgebung
  • Erwerb von Selbstführungs- und Teamführungsstrategien
  • Erwerb von Fachwissen in Geländeorientierung und Überlebenstechniken, Ökologie
  • fächerübergreifender Unterricht
  • Natur- und Wildnispädagogik
  • Grenzerfahrungen, Abenteuer
  • Eigenverantwortung