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Wiesenstrolche

Im Gespräch mit Jana Barth

Der Bauernhofkindergarten "Wiesenstrolche" in Pforzheim startete im November 2018 unter der Trägerschaft von Kita NATURA eG, einer bundesweiten Genossenschaft, die bei der Gründung von Bauernhofkindergärten, Wald- und Naturkindergärten unterstützt und Fort- und Weiterbildungen anbietet.

Der Biobauernhof mit Direktvermarktung (www.biohof-pforzheim.de), am nördlichen Stadtrand von Pforzheim gelegen, konnte als Kooperationshof gewonnen werden. Jana Barth arbeitet dort seit 2019 im Bauernhofkindergarten. Wenige Meter vom Hof entfernt haben die Wiesenstrolche im alten Naturlehrgarten des Amtes für Umwelt ihr Zuhause gefunden. Die Gestaltungsfreiheit, die Natur und Hof bietet, unterstützt die Kreativität der Kinder und gibt Raum zum Beobachten, Lernen, Toben, "Erden", Erforschen und Entdecken.

 

 

 

 

Susanne Vieser | Was waren die ausschlaggebenden Gründe, dass Sie hier arbeiten?

Jana Barth| Ich bin selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen, ich lebe und arbeite auch weiterhin auf unserem Hof und bin zeitgleich Erzieherin geworden. Das sind meine beiden Lebenseckpfeiler, die zu verbinden mich von Anfang an begeisterten.

SV |Warum ein Bauernhof-Kindergarten?

JB | Landwirtschaft und Kinder zu verbinden liegt eigentlich nahe. Die Landwirtschaft ist der Ursprung von allem. Die Nahrung wird erzeugt, man lernt mit den Tieren umzugehen. Das von Kindesbeinen mitzuerleben und zu lernen, wie man mit der Natur umgeht, ist eine Grunderfahrung, die die Kinder hier machen.

SV |Inwiefern unterstützt dieses Konzept die gesunde Entwicklung der Kinder?

JB | Physisch und leiblich: zu allererst das Immunsystem. Wir sind den ganzen Tag draußen, bei Wind und Wetter, bei Sonnenschein und Hitze. Die Kinder entwickeln ein gutes Immunsystem, aber vor allem auch ein eigenes Körperempfinden. Das ist fast noch wichtiger als das Immunsystem. Sie entwickeln ein Bewusstsein für ihren Körper: Was brauche ich bei Kälte, bei Wind, bei Regen, was bei Hitze? Womit kann ich mir helfen? Dadurch entwickeln sie eine Eigenverantwortung für ihren Körper, nicht nur ein Bewusstsein. Wo kann ich mir Hilfe holen? Was brauche ich? Also Körperwahrnehmung. Dann die Bewegung. Dann die viele Bewegung hier im Kindergarten – unser Gelände ist sehr groß, wir haben knapp 2000 Quadratmeter, die Kinder sind permanent in Bewegung, auch innerhalb der Gruppe. Dann die soziale und emotionale Entwicklung, die damit einhergeht. Man muss aufeinander Acht geben. Ein Kleineres kommt vielleicht nicht mit, es ist noch ganz hinten im Gelände, dann renne ich schnell zurück und schaue. Oder es kommt da ein Traktor angefahren – wir müssen ständig aufeinander achten, das schult die emotionale und auch kognitive Wahrnehmung.

SV |Viermal in der Woche geht es auf den Bauernhof. Wie bringen Sie sich dort ein?

 

JB | Auf dem Hof gibt es Schafe und Hühner. Die Schafe sind nicht das ganze Jahr auf dem Hof, weil sie in den Sommermonaten zur Landschaftspflege in Naturschutzgebieten sind. Dadurch ist in den Sommermonaten zum Thema Schafe wenig zu tun. Aber die Hühner sind immer da. Wir gehen regelmäßig zu den Hühnern, holen Eier, füttern die Hühner, kümmern uns um das Staubbad, dass es wieder erneuert wird, immer im Austausch und in Kommunikation mit dem Landwirt. Ansonsten, wenn er auf den Feldern ist, um einzusäen oder bei der Heuernte, schauen wir, dass wir irgendwie dabei sind. Da ist die räumliche Trennung oft ein großer Nachteil; man bekommt oft nichts mit. Man muss dann aktiv auf dem Hof unterwegs sein, um etwas zu erleben. Aber dadurch, dass wir viermal in der Woche runtergehen, habe ich schon das Gefühl, dass wir einiges erleben können.

Es sind viele kleine Highlights. Wenn die Auszubildenden auf dem Hof mit dem Kärcher irgendwelche Gefährte abspritzen, dann ist das eine Sache von einer halben Stunde bis Stunde, bei der die Kinder zuschauen, wie diese Maschine, die jetzt über den Winter nicht mehr gebraucht wird, erst einmal gesäubert und dann eingelagert wird. Solche Kleinigkeiten sind sehr spannend! Und sie passieren täglich. Dann die Schafe, wo zwei, drei vielleicht noch dazugekommen sind, die vorher nicht dabei waren. Das nehmen Kinder sofort wahr. Oder ein Huhn, das immer ausbüxt! So kleine Momente machen es so vielfältig.

SV |Haben die Kinder auch Aufgaben auf dem Bauernhof?

JB | Wir haben ein Hühnermobil, um das wir uns mindestens einmal in der Woche kümmern. Wir sammeln die Eier ein, schauen nach dem Futter und füttern die Hühner. Das ist unsere Aufgabe, alles andere machen wir spielerisch. Wir helfen auch beim Schafefüttern, beim Einstreuen – das macht den Kindern viel Spaß, aber das ist jetzt keine Aufgabe, die wir fest übernommen haben. Wir schauen, was zu tun ist und wo wir mitmachen können.

Wir haben viele Kinder, die uns von der Kommune zugeteilt werden, Familien, die sich unser Konzept nicht ausgesucht haben, die vielleicht erst einmal mit Tieren auch gar nichts anfangen können, die vielleicht auch Angst haben. Von daher muss man sehr spielerisch darauf eingehen, und es soll ja auch Spaß machen.

SV |Kinder, die noch nicht viel Kontakt mit Natur, mit Tieren hatten – gibt es bei ihnen ein Vorher und ein Nachher? Beobachten Sie auch gesundheitliche Effekte?

JB | Auf jeden Fall ja! Es sind oft Familien, die im Alltag gar nicht hinauskommen oder die in einer kleinen Wohnung wohnen. Sie haben dadurch einfach die Möglichkeit, Tierkontakt oder einfach auch Kontakt mit den Elementen, mit der Natur aufzubauen. Das ist ein sehr großer Vorteil für die Familien oder vielmehr für die Kinder, die vielleicht kein so gutes Immunsystem aufbauen können, wie es andere Kinder tun, die sowieso viel draußen sind. Dazu kommt auf dem Bauernhof noch die Tatsache, dass wir natürlich auch mit Staub und Bakterien und vielleicht Viren zu tun haben, die es einfach in einer Wohnung oder in einem Haus nicht gibt. Ich würde es fast sogar ein bisschen als Prophylaxe gegen Allergien nennen, um es mal ganz klein zu halten.

SV |Heißt das auch, dass die Kinder nicht so oft krank sind?

JB | In Indoor-Kindergärten sind die Kinder teilweise wochenlang krank. Das ist bei den Draußenkindern nicht so. Am Anfang gibt es vielleicht Schnupfnasen, bis man sich eingewöhnt hat, aber wenn man wie jetzt im Herbst oder Winter eingewöhnt ist, treten deutlich weniger Krankheiten auf.

Ich glaube, die Eltern bringen die Kinder auch bewusster in den Naturkindergarten, weil sie wissen, dass die Kinder dann den ganzen Tag draußen sind – und wenn es ihnen nicht gut geht, bleiben sie dann lieber zu Hause. Während in einen Indoor-Kindergarten oder Regelkindergarten oft auch halbkranke Kinder gebracht werden, da sie sich dort auch mal ausruhen können.

SV |Welchen Stellenwert hat das kindliche Spiel in Ihrem Konzept?

JB | Das kindliche Spiel hat einen richtig großen Stellenwert. Wir sorgen für ganz viel Spielzeit im Alltag. Es gibt schon so zwei, drei Umbruchmomente, wo es zum Morgenkreis geht oder zum Frühstück, wo man das Spiel unterbricht, immer mit Ankündigung für die Kinder, dass sie wissen: Jetzt geht es gleich in den nächsten paar Minuten zum Singen und wir räumen auf. Aber in der Hauptspielzeit am Tag haben sie das freie Spielen zur Verfügung und nutzen natürlich alle Gegebenheiten auf dem Platz aus – sämtliche Naturmaterialien, die neu entdeckt werden können vom Tag vorher, die vielleicht nicht mehr so spannend sind und bringen das in ihr Spiel wieder neu mit ein. Wir versuchen das auf dem Hof so umzusetzen, dass wir sowohl die Pflege als auch die Versorgung der Tiere in den Fokus rücken, aber zeitgleich auch das Spiel.

SV |Und auf dem Hof haben die Kinder die Möglichkeit, sich frei zu bewegen?

JB | Direkt am Hof ist es manchmal schwierig, da muss man natürlich schauen: Fahren da Fahrzeuge? Es ist ein Direkterzeugerbetrieb, da sind natürlich auch viele Kunden. Aber wir haben direkt daneben eine Wiese, wo die Hühner sind, und da ist wirklich auch Platz, dass die Kinder rennen können. Oft ist es so, wenn wir bei den Hühnern sind, dass wir uns teilen. Es gibt viele Kinder, die gehen total gerne zu den Hühnern, es gibt aber auch manche, die gehen nicht ganz so gern zu den Hühnern, und die dürfen einfach draußen spielen.

Oder wir bleiben bei den Schäfchen und streicheln sie eine halbe Stunde länger. Auch die Tiere suchen ganz oft den Kontakt zu den Kindern, strecken dann ihr Näslein heraus, und dann werden sie einfach gestreichelt. Das entspannt und erdet die Kinder. Sie sind vielleicht noch angespannt, wenn wir auf den Hof gehen, weil der Alltag schon auch anstrengend ist, aber sobald wir am Hof sind und diese Tiere in den Fokus geraten, sind sie total tiefenentspannt. Das ist wie eine tiergestützte Pädagogik, die man einfach als Therapieform mit einbinden kann. Das Anfassen der Tiere, es einfach zu genießen! Wenn die Schafe schnurren könnten, würden sie auch schnurren! Sie sind echt entspannt, wenn die Kinder kommen. Vor allem bei den Lämmern. Es gibt ja immer wieder Lämmer, die mit der Flasche aufgezogen werden. Diese Tiere bleiben so menschenbezogen, natürlich dann auch als erwachsenes Tier. Und sie genießen es regelrecht. Es gibt natürlich auch Tiere, die das nicht mögen, sie deuten dann schon an, dass sie nicht angefasst werden wollen – sie nehmen dann den Kopf herunter –, aber auch das lernen die Kinder. Und das ist das Tolle. Sie lernen die Kommunikation mit den Tieren und wie man darauf reagiert.

Wiesenstrolche

Das Projekt: Bauernhofkindergarten

Ort: Pforzheim, Wolfsbergallee 63k, 75177 Pforzheim

Aktivität: Naturpädagogische Arbeit

Kontakt: Jana Barth | Email

Fotos: Autorin

Resilienzförderung durch:

  • Naturerfahrungen, Natur- und Erfahrungspädagogik
  • Umgang mit Tieren
  • Erleben von Landwirtschaft
  • Urvertrauen stärken, Sinne anregen, Naturkunde erfahren
  • Fertigkeiten entwickeln (Feuer machen, Hüttenbau, Schnitzen…)