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Antibiotika und Mikrobiom im Kindesalter

Karin Michael |

Aus salutogenetischer Sicht eine ambivalente Wechselbeziehung.

Wenn sich das Mikrobiom im Kindesalter ungestört und in großer Vielfalt entwickeln kann, wird es zu einem tragfähigen Fundament für Immunsystem und Gesundheit.

Da wir heute zunehmend unter den problematischen Folgen eines undifferenzierten Antibiotika-Gebrauchs in der Medizin zu leiden haben – bekannt unter dem Stichwort zunehmende Resistenzentwicklung und dem damit verbundenen Unwirksam-werden dieser Arzneimittel – gehört diesem Thema heute bei der Aufklärung über Gesundheitsfragen unbedingt ein Platz eingeräumt. Denn es ist nicht nur die zunehmende Resistenzentwicklung, die der Medizin Probleme bereitet, sondern auch die Ergebnisse der modernen Mikrobiom-Forschung bei Tier und Mensch. Immer mehr Einzelheiten werden bekannt, wie dieses bis zu 1,5kg schwere aus Billiarden Mikrolebewesen bestehende Ökosystem in unserem Organismus  - vor allem im Darm, auf der Haut und den Schleimhäuten  - mit unserer Gesundheit, unserer Psyche und unserem geistigen Potenzial in Wechselwirkung steht! Seither wissen wir auch, welche negativen Folgen für die mikrobiologische Balance dieses Systems eine Antibiotikatherapie haben kann – auch wenn im Bereich der Antibiotikaforschung die Arzneimittel gesunden Probanden verabreicht werden, um Wirksamkeit und Verträglichkeit zu prüfen.

Antibiotikatherapie hat in den ersten drei Lebensjahren einen besonders negativen Effekt auf die Entwicklung der so wertvollen Vielfalt (Diversität) im Mikrobiom, da diese dort überhaupt erst aufgebaut wird. Das Mikrobiom wird neben Antibiotika auch durch Kaiserschnittgeburt und künstliche Säuglingsnahrung ungünstig beeinflusst.

Einige Erkrankungen und Störungen, die nach Antibiotikatherapie im Säuglings- und Kleinkindalter häufiger auftreten:

  • Allergien
  • Asthma bronchiale
  • Zöliakie
  • Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
  • Übergewicht
  • Autismus
  • ADHS
  • Lernstörungen

Je häufiger in einem Land der Antibiotikaeinsatz bei banalen Infektionen der Harnwege, Atemwege und Ohren ist, desto gravierender sind auch die Probleme mit Antibiotikaresistenz und desto mehr Menschen sterben, weil Antibiotika im Ernstfall nicht mehr wirken. 2019 meldete die US-Gesundheitsbehörde CDC 35.000 Tote durch antibiotikarestistente Keime. Hieraus wird ersichtlich, dass ein außerordentlich zurückhaltender und differenzierter Umgang mit Antibiotika in der Medizin der Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle spielen wird.

Zur Autorin:
Dr. med. Karin Michael ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Kindergarten- und Schulärztin und Co-Autorin der Kindersprechstunde.

Literatur:
https://deutsch.medscape.com/artikel/4900346https://www.scinexx.de/news/medizin/fruehe-gabe-von-antibiotika-kann-folgen-haben, abgerufen am 09.06.2021

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/68130/Wie-Antibiotika-die-fruehkindliche-Entwicklung-des-Mikrobioms-beeinflussen, abgerufen am 18.08.2021:

https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Antibiotika-veraendern-Darmflora-232240.html, abgerufen 09.06.2021:

Glöckler, M, Goebel, W, Michael, K, "Kindersprechstunde – Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber", Stuttgart 2018