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Die Heilkraft des sinnhaften Unterrichts

von Tomáš Zdražil |

Jedes Alter hat seine "latenten" Fragen.

Die Jugend braucht in jedem Unterricht Momente, die begeistern, die Freude, Hoffnung vermitteln und die vor allem als sinnvoll erlebt werden. Was sind die Voraussetzungen dafür? Jedes Alter hat seine spezifischen ausgesprochenen oder unausgesprochenen "latenten" Fragen, die in der jeweiligen Entwicklungssituation des Jugendlichen begründet liegen.

Die Zeitsituation, in der wir leben, bringt zentrale Fragstellungen, die insbesondere Jugendliche brennend interessieren. Diese Fragen haben zum Teil einen solch komplexen Charakter, dass sie in einem einzelnen Fach nicht angemessen beantwortet werden könnten. Dann gilt es, fächerübergreifend Zusammenhänge multiperspektivisch und interdisziplinär – durch pädagogische Teams angeleitet – zu bilden. Insbesondere interdiziplinäre Epochen oder Projekte wie z.B. Globalisierung oder Gesundheit von Mensch und Erde können dieser Aufgabe gerecht werden. Nur die vom Schüler als begründet, nachvollziehbar und sinnvoll erlebten Unterrichtsangebote berühren und verwandeln ihn als Menschen und machen aus dem bloßen Lernen echte Bildung (Buck 2006).

Der von Viktor Frankl definierte "Wille nach dem Sinn" (Frankl 1991) ist in jeder Altersphase ein gesundheitsrelevantes Bedürfnis, in der Jugendphase jedoch besonders existenziell. Es ist der ideale Auftrag eines jeden Unterrichts, eine Art kollektive und präventive pädagogische "Logotherapie und Exitenzanalyse" (Frankl) zu betreiben, die Perspektiven sowohl im Sinne der Fragen und Probleme der zivilisatorischen Entwicklung als auch im Hinblick auf die Lösungsansätze eröffnet, mit denen sich der Mensch durch sein Handeln verbinden kann. "Es gibt nichts in der Welt, was so sehr imstande wäre, einem Menschen über innere Beschwerden oder äußere Schwierigkeiten hinwegzuhelfen, wie das Wissen um eine spezifische Aufgabe, das Wissen um einen ganz konkreten Sinn, nicht im Großen seines Lebens, sondern hier und jetzt, in der konkreten Situation, in der er sich befindet." (Frankl 1991, S. 26)

Die Dimensionen des Kohärenzgefühls von Aaron Antonovskys Salutogenese (Antonovsky 1997) – Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit – sind ausschlaggebend für eine sinnhafte Weltbeziehung, die durch die Bildung angeregt werden soll. Die Elementarpädagogik muss bemüht sein, diese Dimensionen konkret "leibhaftig" zu veranlagen. Im Kindergarten werden diese basalen Lebenszusammenhänge durch Aufräumen, Waschen, Brotbacken und vieles andere mehr erlebbar und dadurch verstehbar gemacht. Eine Erziehung und ein Unterricht, die den Leib und die Sinne einbeziehen, machen auch Sinn und Sinnhaftigkeit erfahrbar. Sinn findet sich, wenn der Mensch das eigene Wollen im Zusammenhang mit seiner natürlichen und sozialen Umgebung erleben kann. Nur wer gesunde und offene Sinne entwickelt hat, kann die Welt und ihre Zusammenhänge wahrnehmen. Von dem erkannten Zusammenhang kann er dann sein Denken und Handeln bestimmen und dadurch Sinn in seinem Leben erleben.

Sinnerleben induziert Hoffnung, Motivation und Engagement. Umgekehrt ist unbestritten, dass Sinnleere das Auftreten von Antriebslosigkeit, Angstzuständen, Depressionen und Burnout-Gefahr begünstigt. Bereits Frankl wies darauf hin, dass Sinnerlebnisse nicht nur psychisch gesundend wirken, sondern bis in den Leib hinein Widerstandskräfte mobilsieren. Gesunde Sinne sind eine Basis, um Lebenssinn zu finden – und dieser wiederum wirkt gesundend auf den Leib zurück. So hat der erlebte Sinn einen positiven Einfluss auf diverse Aspekte der physiologischen Stressregulation und des Immunsystems, die Anzahl der Immunzellen (Roepke et al. 2014) erhöht sich. Empirische Untersuchungen belegen darüber hinaus, dass ein höheres Sinnerleben im Leben mit einem gesundheitsförderlichen Verhalten und ebenfalls mit einer positiveren subjektiven Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes verknüpft ist und selbst gesundheitliche Beschwerden und eine beeinträchtigte Gesundheit besser verarbeitet werden. Menschen mit mehr Sinn im Leben zeichnen sich durch eine bessere Herzgesundheit aus und genesen schneller nach operativen Eingriffen oder Erkrankungen.


Zum Autor:
Prof. Dr. Tomáš Zdražil war Klassenlehrer in Tschechien. Er ist Dozent an der Freien Hochschule Stuttgart.


Literatur:
A. Antonovsky: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen 1997

P. Buck: Wie gelangt ein Mensch zu Sinn? Eine Installation zu Fragen der Pädagogik. Stuttgart 2006

V. Frankl: Der Wille zum Sinn. München 1991

V. Frankl: Trotzdem ja zum Leben sagen. München 1991

A.M. Roepke, E. Jayawickreme, O.M. Riffle: Meaning and health: A systematic review. Applied Research in Quality of Life, 9(4), 2014, 1055-1079

T. Schnell: Psychologie des Lebenssinns. Heidelberg 2020