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Gesunde Ernährung von Anfang an!

Petra Kühne |

Salutogenetische Aspekte der Ernährung im Mutterleib.

Bereits im Mutterleib beginnt für das wachsende Kind ein Kontakt mit der Welt der Lebensmittel. Zwar wird es noch über die Nabelschnur mit einfachsten Nährstoffeinheiten versorgt, erlebt aber bereits mit dem Fruchtwasser Geschmacksnuancen der Nahrung. Isst die Mutter saure Gurken, so nimmt es geschmacklich ebenso daran teil wie an einer fettreichen Schokotorte. Hier beginnt bereits die erste "Ernährungserziehung".

Ernährung ist Kontakt mit der Umwelt

So zeigt sich bereits vorgeburtlich und noch mehr nach der Geburt, dass das Kind Kontakt mit der Umwelt, den Lebensmitteln bekommt. Ernährung ist eine Form der Kontaktaufnahme.

Dieser Kontakt stellt zugleich eine Auseinandersetzung dar, denn die Außenwelt, die Nahrung, ist dem Organismus fremd. Alles Fremde wird jedoch vom Immunsystem abgewiesen. Damit dies nicht mit der Nahrung passiert, gibt es die Verdauung. Hier bauen die Verdauungssäfte des Speichels, Magens und Darms die Nahrung in einzelne Nährstoffe ab. So verändert nimmt der Organismus sie ins Innere auf und verwertet sie in dem Stoffwechsel. Die fremde Nahrung ist den Bedürfnissen des Körpers angepasst, ist eigen geworden.
 

Toleranzbildung für die Gesundheit

Diesen Vorgang nennt man Toleranz. Bei dem Gegenteil, einer Intoleranz auf Nahrungsbestandteile, funktioniert dieser Abbau nicht richtig. Daher gehört die Toleranzbildung gegenüber der Nahrung zu einem der wichtigsten gesundheitlichen Ziele im Kindesalter.

Diese Erkenntnis ist relativ neu. Davor empfahl man z.B. Lebensmittel, die öfter Allergien bei Kindern auslösten, vorerst zu meiden. Das Kind sollte dadurch vor einer möglichen Unverträglichkeit geschützt werden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Bekam das kleine Kind in den ersten Lebensjahren keine Kuhmilch, oder vermied die Mutter sie schon in der Schwangerschaft, so stieg sogar die Allergierate an. Das Kind konnte sich nicht mit dem unbekannten Lebensmittel vertraut machen. Heute setzt man darauf, schon früh mit dem Kontakt zu beginnen. Am besten führt man langsam und in kleinen Mengen neue Lebensmittel ein.
 

Kontakt mit dem Lebensmittel

Wie nimmt ein Kind oder auch ein Erwachsener ein Lebensmittel wahr? Dies erfolgt über unsere Sinneseindrücke. Wir sehen, riechen, schmecken und tasten ein Gericht. Die Sinne vermitteln uns einen ersten Eindruck und sprechen unsere Empfindung an: "Es riecht gut" oder "Schmeckt fein". Diese Sinneseindrücke vermitteln über das Nervensystem die Informationen an die Verdauung und den Stoffwechsel. Bereits der Speichel setzt sich anders zusammen, je nachdem ob eine süße oder pikante Speise gegessen wird. Dies passiert auch im Magen, wo anders auf eine eiweiß- oder fettreiche Nahrung reagiert wird – wie auch im Darm.
 

Die Nahrung soll schmecken!

So gehört die Anregung der Sinne zu einer gesundheitsförderlichen Ernährung. Wie macht man das? Das Essen soll schmecken! Dazu gehört keine aufwändige Küche. Aber möglichst viel frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse und Vollkornprodukte gehören dazu. Die Qualität eines Lebensmittels entsteht in der Landwirtschaft und setzt sich in der Verarbeitung und Zubereitung fort. Biologischer Anbau, schonende Verarbeitung und Zubereitungen tragen viel zu einem guten Geschmack bei. Bei den Kindern prägt sich in den ersten Lebensjahren ein sensorisches Gedächtnis oder eine Art "Geschmacksheimat" aus. Je nach Erfahrung bildet sich ein "Grundgeschmack" für einzelne Lebensmittel. Dabei kommt es darauf an, was das Kind tatsächlich erlebt, also wie aromareich und vielfältig die Speisen sind. Dazu gehört, dass das Kind verschiedene Lebensmittel probieren und auch etwas ablehnen kann. Wenn man sich zurückerinnert an die eigene Kindheit, so möchte man auch nicht alles, was man später durchaus verzehrt.
 

Nahrung erleben

Kinder können die Nahrung nicht nur durch das Essen erleben. Ein Besuch auf einem Bio-Bauernhof verdeutlicht, woher die Lebensmittel kommen. Dort lassen sich Tiere und Pflanzen sehen und in ihrem Wachstum verfolgen. Noch intensiver ist es, wenn die Kinder selbst in einem kleinen Beet etwas aussäen zu Hause, im Kindergarten oder einem Schulgarten. Das schafft eine Beziehung und regt zum Verständnis an. Wie stolz sind Kinder über die Ernte von ausgesäten Kräutern oder gepflanztem Gemüse. Erleben Kinder die Mühe, aber auch Freude am Wachsen und Ernten von Pflanzen, so steigt auch die Wertschätzung. So leicht werfen sie dann nicht benötigte Lebensmittel nicht weg.

Das Mittun lässt sich in der Küche fortsetzen. Schon kleine Kinder können helfen beim Teigbereiten, Belegen einer Pizza oder dem Vorbereiten von Gemüse wie Erbsen auspellen oder einen Apfel raspeln. Diese Erfahrungen helfen, eine Alltagskompetenz zu entwickeln und stärken den inneren Bezug zu den Lebensmitteln. Zahlreiche Ansätze gibt es dazu in Kindergärten, (Waldorf-)Schulen sowie öffentlichen oder gemeinnützigen Angeboten.
 

Soziale Aspekte der Ernährung

Essen in der Familie, dem Kindergarten oder in netter Runde verbindet uns Menschen miteinander. Die Ernährung schafft Beziehungen – zum Lebensmittel, aber auch zu den anderen Menschen. Der gemeinsame Familientisch gestaltet den Alltag und bietet Gelegenheit zum Gespräch über schöne und kummervolle Tagesereignisse. So stärkt sich mit den gemeinsamen Mahlzeiten der Zusammenhalt der Familie, der Kindergartengruppe oder der Klassengemeinschaft. Solche positiven Erfahrungen zeigen Rückwirkungen auf die Gesundheit: Kinder, in deren Familien oft gemeinsam gegessen wird, weisen seltener Übergewicht auf. Sie essen auch gesünder, in dem mehr Obst und Gemüse verzehrt werden. Dazu trinken sie mehr Wasser und weniger gesüßte Getränke. Hier regen die Eltern gute Gewohnheiten an oder vermitteln sie durch ihr Vorbild. Dies kann auch im Kindergarten oder der Schule erfolgen, wenn die Verpflegung entsprechend gestaltet ist.
 

Nährstoffe und Lebensmittel

Lebensmittel versorgen uns mit Nährstoffen. Das Wissen über diese Grundlagen und ihre Bedeutung für die menschliche Ernährung wird immer umfassender. Die Menschen kennen sich besser aus, zumal das Thema in den Medien vielfach behandelt wird. Es ist auch wichtig und notwendig, informiert zu sein, was Kinder an Eiweiß, Fetten, Kohlenhydraten und Vitaminen und anderem mehr benötigen. Genauere Kenntnisse besitzen entsprechende Fachleute und stehen bei Bedarf für Beratungen zur Verfügung. Im Alltag der Kinderernährung helfen jedoch weniger das Wissen über notwendige Nährstoffe, als die Kenntnis der Lebensmittel. Wir essen Lebensmittel und nicht Nährstoffe. Für Kinder ist ein Wissen über diese Zusammenhänge erst im späteren Schulalter sinnvoll. Zu abstrakt sind Begriffe wie Eiweiß oder Kohlenhydrat. Zudem führt das Wissen nicht ohne weiteres zur Umsetzung, dem gesundheitsförderlichen Handeln. Genau darauf kommt es in der Kinderernährung aber an: Gesund Essen zu lernen und nicht nur über Ernährung Bescheid zu wissen.
 

Die wichtigsten Lebensmittelgruppen

Für unsere Gesundheit und die der Erde ist eine nachhaltige, pflanzenbetonte Ernährung aus ökologischem Anbau die Zukunft (wie die "Planetary health Ernährung"). Folgende Lebensmittelgruppen gehören zu solch gesundheitsförderlicher Kost: Vollkorngetreide für Brot, Getreidegerichte und Teigwaren. Dabei gibt es nicht nur Weizen und Dinkel, sondern acht verschiedene Getreidearten und noch die sogenannten Pseudogetreide, die eine abwechslungsreiche Auswahl bieten. Frisches Gemüse, Salat oder Rohkost und Obst der Jahreszeit gehören täglich auf den Tisch, in der Menge, die jeder möchte. Hülsenfrüchte wie Linsen oder Kichererbsen steuern viel pflanzliches Eiweiß bei. Milchprodukte ergänzen die pflanzliche Kost. Fleisch und Fisch können ab und an in der Nahrung enthalten sein, wenn gewünscht. An Fetten sind die pflanzlichen Öle zu empfehlen und Mäßigkeit bei tierischen Fetten. Süßes sollte sparsam verwendet werden, es wird leider viel zu viel davon verzehrt. Solche Ernährung kann auch mit kleinem Budget erfolgen, wenn man auf Fertiggerichte verzichtet, saisonale Produkte bevorzugt und seinen Speiseplan und seine Vorräte gut plant.
 

Essen ist Leben

Wir essen, um zu leben und uns tatkräftig zu entwickeln! Insofern ist die Ernährung etwas Lebensbejahendes und sollte auch diesen Stellenwert bekommen. Wir sollen nicht essen, um "Vitamine" etc. zu erhalten und auch nicht, um eine Kränkung "herunterzuschlucken". Kinder sollen gern essen und die Mahlzeiten als etwas Schönes empfinden. Der Genuss der Speisen verbindet uns mit der Welt.

Zur Autorin:
Dr. sc. agr. Petra Kühne, Ernährungswissenschaftlerin, Leiterin des Arbeitskreises für Ernährungsforschung e.V. in Bad Vilbel, viele Jahre Vortrags- und Kurstätigkeit, Buchveröffentlichungen. www.ak-ernaehrung.de