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Unterricht an der frischen Luft

Outdoor Education als gesundheitsfördernde "Maßnahme"

Aufgrund der aktuellen Maskentragepflicht ab der 1. Primarstufe im Kanton BL bewegte mich in den Weihnachtsferien die Frage, wie ich damit umgehen sollte. In meiner Elternschaft habe ich eine vielfältige und breit gefächerte "Landschaft" von Ansichten darüber. Es gab/gibt mehrere Familien, die ihre Kinder sofort aus der Schule nehmen würden, wenn sie in der 1./2. Klasse eine Maske tragen müssen. Andere sehen das sehr entspannt.

Georg Walter, Rudolf Steiner Schule Münchenstein

Mit dem Institut für Praxisforschung, Solothurn, stand ich in diesen Tagen in engem Kontakt. Thomas Stöckli (Erziehungswissenschaftler) ermutigte mich sehr, den Unterricht ins Freie zu verlegen. Dies im Kontext der aktuellen Forschungsprojekte, z.B. aus dem Handbuch "Draußen unterrichten" sowie den Erfahrungen "Ein Jahr Outdoor Education" einer Waldorfschule in den USA. Beides inspirierte mich und kam genau im richtigen Moment.
Da die Situation in den letzten drei Tagen vor Schulbeginn im neuen Jahr sich mit der Elternschaft zuspitzte, entschloss ich mich kurzerhand in der Nacht von Samstag auf Sonntag – als mich die Angelegenheit schlaflos im Bett herumwälzen ließ –, den Unterricht ab Montag nach draußen zu verlegen. Nun hatte ich am Sonntagnachmittag nur ein paar Stunden Zeit, das Nötigste vorzubereiten und die Eltern zu informieren. Vielleicht hat diese geringe Vorbereitungszeit dazu beigetragen, dass die Woche so lebendig – "im flow" aus dem Moment heraus geboren – erlebt werden konnte.

Erster Tag

Um 7.30 Uhr kamen die ersten Kinder in die Schule. Es brannten Kerzen auf alten Holzbrettern, ein größeres Feuer flackerte munter in der Feuerschale, rundherum waren Holzbänke, Holzrugel mit Sitzkissen bereitet, unser alter Kutschenwagen stand in der Ecke unseres "Kleinen Pausenhofes", der der 1. und 2. Klasse vorbehalten und in dem gerade das neue Baumhaus fertiggestellt worden ist.
Nach dem Morgenspruch, Zeugnissprüchen, Aufwärmübungen und ein paar neuen Liedern, machten wir uns daran, den alten Kutschenwagen fit zu bekommen. Mit vereinten Kräften gelang uns das und wir konnten gegen 9.00 Uhr mit dem Wagen losfahren Richtung Wald.
Es brauchte die Mithilfe der Kinder und dreier Erwachsener, um den Wagen auf der Straße gut zu bewegen. Beim Kreisverkehr angekommen, entschlossen wir uns, kurzerhand eine Runde durch den Kreisel zu fahren. Es war eine tosende Begeisterung bei den Kindern und uns Erwachsenen zu spüren und zu hören, als wir den Kreisel umrundeten... Im Wald luden wir Holz ein und fuhren dann mit dem vollen Wagen zurück zur Schule. Dort begannen wir mit der Verarbeitung des Holzes zu Brennholz. Das sachgerechte Sägen mit unterschiedlichen Sägen, das Holzhacken und das Schnitzen wurden zum Unterrichtsgegenstand und wurde direkt in der Praxis erprobt.

Zweiter Tag

Wieder begannen wir im Morgennebel am großen Feuer mit Morgenspruch, Rythmischem Teil und weiteren neuen Aufwärmübungen, um der doch beachtlichen Temperatur um den Gefrierpunkt zu trotzen. Heute wurden die – aus Laubholz selber ausgesägten – Buchstaben wiederholt. Zunächst war es ähnlich wie am Ostersonntag. 17 Buchstaben waren auf dem Gelände versteckt: hinter Sträuchern, im Baumhaus, auf Bäumen, beim Zaun des Ziegenstalls usw. Die Kinder gingen auf die Suche und als alle 17 gefunden waren, übten wir Worte zu den Buchstaben, machten ein Hüpfspiel mit den Buchstaben und schrieben auf unseren selbst angefertigten Schultafeln.

Dritter Tag

Heute kam ein weiteres Geschenk von Eltern zu uns. Ein Ster Holz wurde geliefert und von uns verräumt. Einmal fragte mich dieser Tage ein Kind einer anderen Klasse, welches zu Besuch kam: "Wo habt ihr denn das Holz hin?" Ich antwortete unbeabsichtigter Weise: "Da hinter der Hauswand" und deutete zu unserem Kutschenwagen. Dieser bildete eben einen Rückhalt, fast wie eine Hauswand.
Hier fand im Garten unseres Kindergartens der Eurythmie-Unterricht statt, musikalisch begleitet von einer Blockflöte.

Vierter Tag

Heute kam die Lehrerin von unserem "Kleinen Klassenzimmer" vorbei und freute sich – wie so viele in dieser Woche – über die Stimmung, die da in dem lebensvollen Geschehen den ganzen Vormittag über zu spüren war. Sie brachte uns die Idee, einfache "Eisbilder" zu machen. In der Pause wurden diese gleich vorbereitet und über Nacht – es hatte frühmorgens noch -6°C – entstanden zauberhafte Gebilde, die so richtig zur Geltung kamen, als um kurz nach 9.00 Uhr am Freitag dann die Sonne aufging.

Fünfter Tag

Wie jede Woche putzten wir in der ersten Stunde die beiden Klassenzimmer, die Garderobe und den Außenbereich, bevor wir bis zum Mittag in den nahegelegenen Wald gingen und diese Outdoor-Woche im freien (Rollen-) Spiel ausklingen ließen.

"So möchte ich den GANZEN Tag in die Schule gehen – auch am Nachmittag!
Warum gibt es eigentlich Wochenende, ich will JEDEN Tag zur Schule, wenn sie draußen stattfindet! Wir lernen gar nichts in der Schule, aber wir machen so viele tolle Sachen, dabei lernen wir ganz viel!
Ich stehe heute früher auf, damit wir früher zur Schule gehen können ..."

Ein Kind zu seinen Eltern

Fazit

Es war gerade an dem heutigen Waldtag doch eindrücklich für mich, wie die Klassengemeinschaft durch diese erlebnisreiche, intensive Woche spürbar zusammengewachsen ist, nach einer ziemlich langen Weihnachtspause von fast vier Wochen. Es fühlt sich das fast so an, wie wenn wir eine Woche ein Klassenlager mit einer größeren Bergtour o.ä. hinter uns hätten. Dieses neue Gefühl von Klassengemeinschaft nach nur fünf Tagen finde ich doch bemerkenswert und in seiner Schönheit eindrücklich! Ich habe das nicht in diesem Ausmaß erwartet. Auch ist eindrücklich, wie wohl und ausgeglichen die Kinder sich fühlen. Nervöse Erscheinungen jeglicher Art, die sonst oft zum Schulalltag dazu gehören, fallen weg. Es scheint, dass die Kinder ihren Leib auf natürliche Weise deutlich besser ergreifen können als sonst, was wiederum seine Wirkung auf ihre seelische Verfassung hat. Gerade Kinder, die Mühe haben, still am Tisch zu sitzen oder bei gemeinsamen Tätigkeiten mitzumachen, sind deutlich wohler und wirken gesünder und ausgeglichener.

"Unser Kind war sehr ausgeglichen und fröhlich diese Woche und auch mittags nicht so müde, wie sie es sonst oft ist. Auch habe ich kein einziges Mal irgend eine Beschwerde oder Jammerei wegen irgendwelchen sozialen Schwierigkeiten gehört."

aus Elternbericht

Eigentlich war jeder Tag in seiner Weise besonders und von einem guten Geist begleitet! Anfang der Woche war es um 8.00 Uhr noch recht dunkel-dämmrig, das änderte sich spürbar jeden Tag. Es begann im Kerzen- und Fackelschein an der großen Feuerschale mit einem rhythmisch-musikalisch-bewegungsmäßigen Teil, ging dann u.a. in das Suchen von Buchstaben im Gelände über und die Kinder schrieben konzentriert auf ihren Tafeln. Im Anschluss gab es wieder viel zu tun bei der Holzverarbeitung, bevor wir dann noch Geschichten hörten. Eines führte ins Andere, es entwickelte sich aus sich selbst heraus in fließender, unglaublich-lebendiger Weise. Anders kann ich es nicht beschreiben. Ich musste kein einziges Mal die Kinder ermahnen oder gar schimpfen. Mein Eindruck ist zudem, dass die Kinder "rein schulisch" betrachtet mind. so viel in kürzerer Zeit aufnehmen konnten als sonst, zusätzlich lernten sie Vieles, was zu so einer Outdoor-Woche mit doch beachtlichen Temperaturen dazu gehört. Das gemeinsame Trotzen der Kälte hat sicherlich auch seinen Beitrag zur Gemeinschaftsbildung gegeben. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung und sehe da doch Einiges an Potential für Zukünftiges!

"Wir heißen eine Weiterführung dieser Art des Unterrichts für die nächsten Tage, Wochen und Jahrzehnte herzlich willkommen."

aus einem Elternbrief

Ausblick

Ich möchte – unabhängig von den geltenden Maßnahmen – diese Art zu unterrichten, gemeinsam mit dem Institut für Praxisforschung weiter entwickeln und in den Schulalltag integrieren. Konkret möchte ich in den nächsten zwei Wochen Outdoor-Schulbänke sowie eine große Outdoor-Tafel mit den Kindern (und Eltern) bauen, sodass wir jederzeit die Möglichkeit haben, draußen Unterricht zu gestalten. Zudem haben wir die Möglichkeit, alles in den alten Kutschenwagen zu packen und uns irgendwo in der Natur ein Plätzchen zu suchen, um dort "Schule" zu machen. Das macht große Vorfreude!!!

Facts

Ansprechpartner:Georg Walter
Projektort:Münchenstein, Schweiz
Projektzeitraum:Januar 2021
Aktivität:#unterstufe, #draußen
Fotos:privat