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Abhängig von TikTok & Co.

| Redaktion

Der "Rat für Digitale Ökologie" hat ein Erklärvideo zu süchtigmachenden Designs von Social Media veröffentlicht.

Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, TikTok usw. erzeugen Abhängigkeit oder gar Suchtverhalten bei ihren Nutzern – sehr wahrscheinlich bewusst und gezielt. Die Designs der Plattformen und Algorithmen sind darauf angelegt, Verweildauer und Interaktion auf der jeweiligen Plattform zu maximieren, um so höchstmöglichen kommerziellen Nutzen zu ziehen. Dies geschieht durch die gezielte Aktivierung neuronaler Systeme, die der Mensch nicht bewusst steuern kann.

Das ist das zentrale Ergebnis des neuesten wissenschaftlichen Positionspapiers des Rates für Digitale Ökologie mit dem Titel "Abhängig von TikTok & Co. Wie Social-Media-Algorithmen die Mechanismen des Lernens ausbeuten und auf die Gehirnentwicklung junger Menschen einwirken".

Professor Frederike Petzschner von der Brown-University und ihr Team zeigen, wie Design und Algorithmen tief in die Psyche eingreifen. Insbesondere für die Entwicklung der Gehirne junger Menschen hat dies womöglich gravierende Folgen. Welche, ist völlig ungewiss. Der Rat für Digitale Ökologie spricht angesichts hunderter Millionen betroffener Kinder und Jugendlicher daher vom derzeit größten sozialen Experiment der Menschheit.

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Das gesamte Positionspapier finden Sie hier (Download PDF)

Stellungnahme zum Positionspapier des Rates für Digitale Ökologie von Thomas Damberger (Freie Hochschule Stuttgart):

Die Kernaussagen des Positionspapiers sind wie folgt:

Die EU-Kommission hat ein formelles Ermittlungsverfahren gegen TikTok eingeleitet, das mögliche Verstöße gegen Jugendschutzgesetze und überdies die Förderung von Abhängigkeit untersucht. Das Positionspapier skizziert, wie Abhängigkeiten durch die Ausnutzung basaler neuronaler Lernmechanismen, insbesondere durch Dopamin und den Mechanismus der intermittierenden Verstärkung, erzeugt werden. Dopamin spielt als Neurotransmitter eine zentrale Rolle im Belohnungssystem des Gehirns und fördert die Wiederholung belohnten Verhaltens, was bei spezifischen Social Media-Applikationen gezielt ausgenutzt wird. Ganz in Anlehnung an die (operante) behavioristische Forschung wird sichtbar, dass unvorhersehbare und gelegentliche Belohnungen durch Social-Media-Interaktionen zu einer Verstärkung des Nutzerverhaltens führen. Jugendliche sind dabei besonders gefährdet, da ihre Gehirnentwicklung und Impulskontrolle noch nicht abgeschlossen sind. Social Media kann daher langfristige Auswirkungen auf ihre Gehirnentwicklung haben. Die tiefgreifende Intervention in die Gehirnentwicklung junger Menschen durch Social Media wird als das größte soziale Experiment der Menschheitsgeschichte bezeichnet.

Der Rat für Digitale Ökologie setzt sich für eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Digitalpolitik ein und gibt Empfehlungen an die Politik zur Gestaltung der Digitalisierung nach demokratischen Werten. Angesicht der o.a. Aspekte fordert er explizit politische Maßnahmen zur Regulierung von Social-Media-Algorithmen, zur Förderung öffentlich-rechtlicher sozialer Plattformen und zur Einschränkung von Werbeeinnahmen durch Verhaltensvorhersagen. Die formulierten Empfehlungen umfassen Einschränkungen der Smartphone-Nutzung in Schulen und Sensibilisierung für die psychologischen Auswirkungen von Social Media auf die Gesellschaft.

Meine Einschätzung: Neben dem Aufklärungsaspekt konzentriert sich das Papier vor allem auf die Formulierung bildungspolitischer Maßnahmen. Das ist durchaus sinnvoll, um eine notwendige Debatte anzustoßen. Eine kritische Medienpädagogik würde hingegen die Notwendigkeit betonen, Bildung als emanzipatorischen Prozess zu verstehen, der über technische Fertigkeiten (die Mediennutzung und -gestaltung betreffen) hinausgeht und auf die Befähigung zu kritischem Denken und autonomer Lebensführung abzielt. Das Papier selbst hat also keine pädagogische Fundierung.